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Über die Willensfreiheit
nachzulesen in FAZ
vom 15.11.04

http://de.wikipedia.org/wiki/Habermas
http://de.wikipedia.org/wiki/Kyoto-Preis
http://de.wikipedia.org/wiki/Willensfreiheit


Hat der Mensch keinen freien Willen? Sind Schuld und Sühne nur Fiktion?
Ein Streitgespräch zwischen
GERHARD ROTH
, geboren 1942, entfachte mit seinen Thesen, der Mensch habe keinen freien Willen und sei nicht schuldfähig, eine heftige Debatte. Der Hirnforscher ist Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen und Rektor des Hanse-Wissenschaftskollegs.
und MICHA BRUMLIK
, geboren 1947, lehrt Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main, leitet das Fritz Bauer Institut (ein Studienzentrum zur Geschichte des Holocaust) und engagiert sich im jüdisch-christlichen Dialog.

(nachzulesen im Septemberheft von chrismon 2004, S.26)
http://www.chrismon.de/cframe-archiv.html

Aktuell: der Berliner Philosoph Peter Bieri
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,druck-336325,00.html


Dialoge über die Erkenntnis
-
überaus lesenswerte Dialoge
zum philosophischen Relativismus

http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Feyerabend 

Kurzdarstellung zu einigen seiner Werke:
http://www.philosophenlexikon.de/feyerab.htm





Zunächst die einfache Antwort:
Manches Mal wissen wir nicht, wie es richtig ist, sich zu verhalten. Denn die Ankündigung der biblischen Schlange „Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ hat sich bei uns nicht erfüllt. Gerade wo wir die Macht über Tod und Leben haben, bei Sterbehilfe und beim Klonen von Menschen wird uns, wie Mephisto schon dem Faust ankündigte „vor unserer Gottähnlichkeit bange“. Und die einfache Regel Kants „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.” führt mitnichten zu Einigkeit. (Walter Böhme August 2004)

ausführlicher im  Ethikgespräch  
(Gespräch von Kollegen am Goethe-Gymnasium, leicht gekürzt veröffentlicht im Jahresbericht  dieses Gymnasiums von 2004)




Japanisches Denken oder: Philosophie ohne Wahrheiten

Japanische Philosophie versucht nicht, durch radikale Kritik an jeder Tradition ein allein auf kritische Vernunft aufgebautes System zu schaffen, wie es in Europa im Gefolge von Descartes viele Denker versucht haben. Vielmehr baut sie bei aller Weiterentwicklung auf die alten Traditionen auf. Dies ist übrigens ein Charakteristikum, das asiatischen Philosophien gemeinsam ist.

Darüber hinaus gehende Gemeinsamkeiten teilt japanisches Denken noch mit China. Denn es hat von dort nicht nur die Bilderschrift (die kanji) und damit die Begrifflichkeit, sondern auch Buddhismus und Konfuzianismus sowie dessen Weiterentwicklung zum Neokonfuzianismus übernommen.

All diesen Denktraditionen ist gemeinsam, dass sie nicht nach einer Ursache hinter der Welt (nach Transzendenz) fragen, sondern die Realität als solche hinnehmen und aus dem gemeinsamen Vorverständnis zu erklären suchen. Deshalb geht es hier nicht um logische Beweise, die Allgemeingültigkeit, jederzeit und überall, beanspruchen, sondern um das Aufdecken von Ähnlichkeiten, Beziehungen, Analogien, die die Welt verständlicher machen sollen. Dafür wird häufig mit Parallelen, Metaphern und Bildern gearbeitet.

Dieses Denken, so fremd es uns zunächst erscheinen mag, fällt nicht völlig aus abendländischer Denktradition heraus. Denn Aristoteles kannte neben der axiomatischen Philosophie, die allgemeine Wahrheiten herauszufinden sucht, auch die topische, die das Glaubhafte und Plausible herauszuarbeiten versucht. Letztere baut auf dem gemeinsamen Vorverständnis (sensus communis) auf und war die Basis der antiken Rhetorik. Noch im 18. Jahrhundert hat der italienische Geschichtsphilosoph Vico diese Tradition zu beleben versucht.

Diese Art des Denkens erlaubt es ganz anders als die aufklärerische Vernunftkritik, verschiedene Denktraditionen miteinander zu verbinden. So wurden die kami (Götter) des Schintoismus nicht nur mit den verschiedenen Buddhas, sondern auch mit den Grundprinzipien des Konfuzianismus identifiziert. (Uns ist es eine befremdliche Vorstellung, Tugenden als Berge in der Landschaft stehen zu sehen. Und doch ist uns die Sonne als lebensspendendes Prinzip geläufig.) Dabei hatte schon der Konfuzianismus seine streng hierarchische Verhaltenslehre mit Grundvorstellungen des Taoismus anzureichern gewusst, obwohl dieser Anarchie und Nicht-Handeln als höchste Ziele anstrebte.

Seit die modernen Naturwissenschaften die Vorstellung von der Allgemeingültigkeit von Ursache und Wirkung aufgegeben haben und Postmoderne Philosophie weder allgemeinverbindliche Werte noch allgemeingültige Regeln mehr kennt, ist die aufklärerische Denktradition freilich auch in der westlichen Hemisphäre in die Defensive geraten.

Wie wenig Allgemeingültigkeit philosophische Wertungen in der westlichen Zivilisation noch haben, zeigt sich in der aktuellen ethischen Diskussion. Immer weniger ist es möglich, von gemeinsamen Prinzipien aus stimmige Regeln zu finden. Immer mehr zeigt sich, dass ein unterschiedliches Vorverständnis gemeinsame Wahrheiten ausschließt und nur die Hoffnung auf Überzeugungsarbeit bleibt, damit das, was uns unverzichtbar erscheint, nicht in einem allgemeinen Werterelativismus untergeht.

Links zu diesem Kontext:
Asiatische Philosophie:
http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96stliche_Philosophie http://de.wikipedia.org/wiki/Buddhismus
http://de.wikipedia.org/wiki/Zen

allgemeinere philosophische Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie http://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus_%28Philosophie%29 http://de.wikipedia.org/wiki/Skeptizismus  http://de.wikipedia.org/wiki/Willensfreiheit


Aus dem politischen Tagebuch des Studenten (1966 -1969)
(stark gekürzt, vor allen zwischen den Datumsangaben - damalige Rechtschreibung)
15.10.1966: […] Ich bin von meiner Seite unbedingt für den Abbruch des Vietnamkrieges. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich ihn als amerikanischer Präsident auch abbrechen würde, und würde die Verantwortung für einen Abbruch nur ungern tragen. (Allerdings lieber als für die Weiterführung.) […]
26.11.66: SPD und CDU schließen eine große Koalition […] Wieviel besser wäre eine Koalition mit der FDP gewesen, wo erstmals Alternativen und nicht Kompromisse mit der CDU-Politik zum Zug gekommen wären! - […] Für völlig falsch würde ich eine Wahlgesetzänderung auf Mehrheitswahl halten. Denn dann gibt es ja erst recht die Möglichkeit der kleinen Mehrheiten. Und wenn man die auch dann scheut und eine große Koalition schließt! Nicht auszudenken! [In Nachtrag vom 27.11. Sorge, dass Strauß und Kiesinger in die Regierung kommen könnten.]
3.4.67: [ausführliche Erörterung der Nachteile des Mehrheitswahlrechtes für die BRD]
9.5.67: Wichtig ist in diesen Tagen auch das Beitrittsgesuch Großbritanniens zur EWG, […]
Bzgl. Studentenpolitik ist zu erwähnen, die Mensaprotestversammlung vom 27.4. wegen 30 Pf. Mensapreiserhöhung und der Vorlesungsstreik vom 8.5. gegen die Sistierung des personalen Ausbaus der Universität. (Freiwerdende Lehrstühle dazu noch nicht einmal wieder besetzt.) u.ä. (Referendare nur mit Verzögerung eingestellt.)
25.5.67: Seit gestern Kriegsgefahr im Nahen Osten. […]
4.6.67: Auch wenn ich hier nicht viel eingetragen habe, so ist doch das Problem Israel (Ägypten) stets von hoher Bedeutung für mich gewesen in den letzten Tagen. […]
Am Freitag ist es beim Besuch des Schahs von Persien in Berlin zu großen Demonstrationen gegen ihn gekommen (wie auch sonst in der BRD), wobei es in diesem Fall zu Tätlichkeiten kam, bei denen ein Student: Benno Ohnesorg von einem Kriminalbeamten in Zivil erschossen wurde. - Gestern u. heute daraufhin Demonstrationen der Berliner Studenten und das trotz eines Demonstrationsverbots durch den Berliner Senat. - Das Geschehen ist jedenfalls beängstigend. Einerseits durch die Haltung des Senats, dann natürlich wegen der traurigen Folgen der ersten Demonstration.
Wahl in Niedersachsen […]
Äußerung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Albertz: Die Stadt lasse sich nicht terrorisieren. Wer terrorisiert hier wohl? - Immerhin gegen die offiziell verbotene Demonstration von heute wurde nicht eingeschritten.
Auch noch anzumerken: Die Ostregion von Nigeria […]
5.6.67: Zwischen Israel und Ägypten ist der Krieg ausgebrochen.
27.8.67 [Vergleich der Aufzeichnungen mit mittelalterlicher Geschichtsschreibung.] Von meiner - wenigstens zwischenzeitlich halbwegs genauen - Kenntnis über innenpolit. oder wirtschaftl. Fragen geht wenig ein.
27.9.67: Albertz zurückgetreten. (26.9.)
17.1.1968: In Hochschulpolitik einiges los. […] aber es ist zu viel, als daß man alles berichten könnte.
Februar 68 [ausführliche Einträge zum Vietnamkrieg]
22.3.68: Weiterhin eindrucksvolle Studentendemonstrationen in Polen, besonders in Warschau.
4.4.68: Noch nächste Woche erste Friedensverhandlungen zw. Nord-Vietnam und USA vorgesehen.
Der Friedensnobelpreisträger und Neger Martin Luther King ist gestern in Memphis in einem Attentat ermordet worden.
Bundeshaushalt gestern in 2. Lesung angenommen worden. Über 80 Milliarden. FDP gegen atomare Trägerwaffen in Bundeswehr.
11.4.68: Auf Rudi Dutschke ist ein Attentat verübt worden. Er ist sehr schwer verletzt worden, von drei Kugeln getroffen. Der Attentäter liegt ebenfalls verletzt im Krankenhaus
18.4.68: Demonstrationen (als Ergebnis) in Reaktion auf das Attentat gegen Dutschke in großer Zahl. Versuch, die Auslieferung von Springer-Zeitungen zu verhindern. Dabei ist der Pressefotograf Klaus Frings von einem Steinwurf getroffen worden und daran gestorben. Ebenfalls starb jetzt in München der 27j. Student Schreck. - Die Parallele von Vorgängen der 20er und 30er Jahre wird in Kommentaren, wenn auch in Absetzung davon herangezogen.
28.4.68: [Ausführlicher Kommentar zur Landtagswahl in Baden-Württemberg, wo die NPD 9,8% der Stimmen gewann.]
11.5.68: Die Studentendemonstrationen in Paris gehen weiter, gemeinsame Demonstration mit einer Gewerkschaft im ganzen Land geplant.
12.5.68: Pompidou hat Erfüllung der studentischen Forderungen zugestimmt, nachdem drei große Gewerkschaften mit Generalstreik am Montag gedroht hatten. - Sternmarsch auf Bonn nach Demonstranten 60-70 000, nach Polizeisprecher 25 000.
17.5.68: Der Streik am Montag in Fkr. trotz Nachgeben der Regierung durchgeführt. Augenblicklich größere innenpolitische Unruhen.
30.5.68: Ausschreiben von Neuwahlen und Rücktritt de Gaulles nicht ausgeschlossen. […]
31.5.68: De Gaulle will nicht zurücktreten, hat Nationalversammlung aufgelöst. Pompidou: Regierungsumbildung f. provisorische Regierung bis zu den Neuwahlen Mitte Juni/Anfang Juli. Truppenzusammenziehungen um Paris (Panzer-, Fallschirmjägerverbände u.a.) Die frz. Truppen in Dtl. teilweise bereits in Alarmbereitschaft. - Gestern die Notstandsverfassung der BRD mit 384 : 100 Stimmen (mit deutl. 2/3 Mehrheit) angenommen. Viele Demonstrationen dagegen, in Fkft. Besetzung des Rektorats durch Studenten, darauf Besetzung der Uni durch Polizei. In Marburg verhältnismäßig ruhig.
5.6.68: Bei frz. Unruhen 11 Menschen spurlos verschwunden. […] Attentat auf [Robert] Kennedy. Er überlebt es, der Attentäter festgenommen und Name identifiziert.
8.6.68: […] Kennedy am 6.6. verstorben.
11.6.68: Die DDR führt erhöhte Reisebeschränkungen und Beschränkungen im Berlinverkehr ein.
12.6.68: Bei Studentenunruhen in Paris 1 500 Studenten festgenommen worden.
13.6.68: In DDR Umstellung der Landwirtschaft auf industriemäßige Fertigung geplant. […] In Fkr. ist gestern ein allgem. Demonstrationsverbot erlassen worden, an das sich auch im allgemeinen gehalten wird. Nur in Straßburg noch Zusammenstöße mit der Polizei, sonst geschlossene Kundgebungen und Proteste. - In Rumänien Studentendemonstrationen, Verbesserungen der Lebensbedingungen gefordert. Regierung verspricht Erfüllung. In Uruguay auf Studentenunruhen hin der Belagerungszustand über das ganze Land verhängt.
23.6.68: Springer verkauft: Eltern, Twen, Bravo u. Jasmin an Gruner und Jahr […]
Bei den Wahlen in Fkr. verhältnismäßig wenig Wahlbeteiligung, nicht höher als bei den vorigen Wahlen. Vor ein paar Tagen bei Studentenunruhen in Rio de Janeiro 2 Studenten getötet, 400 verhaftet. 2400 : Gaullistische Stimmengewinne über Propaganda mit Bürgerkriegsgefahr.
24.6.68: Festzuhalten ist hier: Daß ich die Studentenpolitik hier nicht erwähne, soweit sie nicht allgemein politisch wird, obwohl ich sehr viel davon höre u. sehr darin engagiert bin, [ergibt sich,] weil ich sonst sehr viel zu schreiben hätte, da ich das ganz Wesentliche schlecht erkennen kann. [Es folgen einige Mitteilungen dazu.] In Griechenland herrscht weiter eine Militärdiktatur (man hört Schreckliches über ihre Folterungsmethoden). [Verhandlungen zwischen Nordvietnam und USA nicht weitergekommen]
25.6.68: [Springer Zeitschriftenverkauf anders verlaufen als angekündigt]
1.7.68: Ab heute ist in der EWG die Zollunion durchgeführt.
14.7.68: [Hungersnot in Biafra, Präsidentschaftswahlkampf in USA, Marburger Studentenparlamentswahlen]
17.7.68: Staatsstreich im Irak, Luftwaffenchef jetzt Staatsoberhaupt.
21.8.68: Einmarsch sowjet. Truppen in CSSR.
8.9.68: […] Fkr. hat seine 2. Wasserstoffbombe explodieren lassen.
20.9.68: Studentenunruhen in Mexiko, einmal 100 000, dann 200 000demonstrierend, weil angeblich 31 Studenten ermordet worden. Polizei besetzt Uni. Schärferes Vorgehen angedroht.
25.9.68: Gedanke: Historisierung der Studentenbewegung. Tradition wird entstehen wie in der Jugendbewegung. Man wird von alten Idealen schwärmen und mit dem Neuen nicht mitkommen (So in 20 J. denkbar).
2.11.68: In Dortmund Treffen von Mitgl. der außerparlamentarischen Opposition (APO), auf dem beschlossen wurde, im Dezember eine Partei Aktionsbündnis für demokrat. Fortschritt o.ä. zu gründen, die die Möglichkeit bieten soll, 1969 mit Aussicht auf Erfolg für den Bundestag zu kandidieren. U.a. waren Vertreter der neuzugelassenen kommunistischen Partei KdP und der DFU [deutsche Friedensunion] anwesend. (Auch Prof. Hofmann)
6.11.68: Nixon zum Präsidenten der USA gewählt. […]
20.1.1969: Zu Weihnachten 68 Mondumrundung durch amerikan. Astronauten […]
5.3.69: Heinemann mit 512 Stimmen gegen Schröder (506) in Berlin zum Bundespräsidenten gewählt.
28.4.69: De Gaulle ist nach Ablehnung seines Referendums zurückgetreten.
29.9.69: Wahlen vom 28.9.: CDU 46,1% (1965: 47,6), SPD 42,7%, FDP 5,8% ADF 0,6% NPD 4,3%
7.10.69: Die Koalitionsverhandlungen von SPD und FDP haben einen […] so in Atem gehalten, daß man fast keine Nachrichten versäumen wollte.

Wikipedia-de
alle Offa-Artikel, Dekolonisation, Gesellschaft zur Zeit der Han-Dynastie, Podgorny


http://de.wikipedia.org/wiki/Offa http://de.wikipedia.org/wiki/Dekolonisation http://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_zur_Zeit_der_Han-Dynastie http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Wiktorowitsch_Podgorny

Soziale Verteidigung 

Schon Alfred Nobel glaubte, mit seinem Dynamit die Voraussetzung für Waffen geschaffen zu haben, die jeden Krieg unmöglich machten. Angesichts der fürchterlichen Folgen dieser Waffen könne ihre Anwendung durch nichts mehr gerechtfertigt werden. - Er hat sich getäuscht. Immerhin reichte das Geld, das durch seine Erfindung einkam, aber zur Einrichtung des Nobelpreises, insbesondere des Friedensnobelpreises. Heute ist die potentielle Zerstörungskraft unserer Waffen weit höher, als Alfred Nobel es auch nur ahnen konnte, und von neuem ist der Gedanke gekommen, diese Waffen seien so schrecklich, dass sie nun wirklich einen künftigen Krieg, in dem sie angewendet werden könnten, verhindern würden. In der Geschichte der Kriege seit 1945 sieht man die Bestätigung: Kriege allüberall, nur nicht in Europa. Sie sind durch Abschreckung verhindert. So die Theorie. Freilich hat die Theorie einen Schönheitsfehler: Anfang der sechziger Jahre entdeckten die amerikanischen Abschreckungsexperten, dass die bisherige Abschreckung, die angeblich schon über ein Jahrzehnt funktioniert hatte, nicht glaubwürdig sei. Wieso war es trotzdem nicht zum Krieg gekommen? War Abschreckung überhaupt nötig gewesen? Dass man auf eine Besetzung Westberlins mit dem großen Atomschlag antworten und damit die Selbstvernichtung heraufbeschwö­ren werde, sei nicht glaubhaft. Folglich entwickelte man die Strategie der abgestuften Vergeltung ("flexible response”), die je nach Provokation angepasste Antworten vorsah, die nötigenfalls bis zum entschei­denden Schlag eskaliert werden konnten. Heute ist die Strategie weiterentwickelt worden. Um die Glaubwürdigkeit der Ab­schreckung zu erhöhen, hält man es inzwi­schen für nötig, sicherzustellen, dass man eine atomare Auseinandersetzung gewinnen kann. Der Atomkrieg soll führbar gemacht werden. Diesem Ziel dienen die "Cruise Missiles" und die Pershing-Raketen, die in Europa stationiert werden sollen. So antwortet denn auch der Erfinder der Neutronenbombe, Sam Cohen, auf die Frage, ob es einen Nuklearkrieg geben wird, mit einem einfachen "ja" (vgl. Die Zeit Nr. 8, 18.2.83, S.42). Der Kreis schließt sich: Wirksame Abschreckung nur durch glaubwürdige Abschreckung; glaubwürdige Abschreckung nur, wenn man auch voll darauf eingestellt ist, einen Atomkrieg zu fuhren; darauf eingestellt sein kann man aber nur, wenn man auch reelle Chancen hat, ihn zu gewinnen. Angesichts dieser Abschreckungslogik scheint es verständlich, dass auch andere ­ebenfalls unkonventionelle Wege der Abschreckung gesucht werden. Einer ist der der "Sozialen Verteidigung" (Civilian Defence). Die Abschreckungswirkung der Sozialen Verteidigung soll darin liegen, dass der Angreifer damit rechnen muss, im Fall der Besatzung eines Landes langfristig gegen die Bevölkerung arbeiten zu müssen, so dass kein wirtschaftlicher Nutzen aus der Beset­zung entsteht. Dies soll entweder durch passiven Widerstand wie Gehorsamsverweigerung, Boykottmaßnahmen, Sitzblockaden und Streiks erreicht werden oder - womöglich durch dynamische Weiterarbeit ohne Kollaboration, d h. - es müsste verhindert werden, dass der Besetzer sich die Produktionsergebnisse zu Nutze machen könnte (Diese wäre denkbar im gesamten Dienstleistungssektor).   ' Diese Technik des "Zivilen Ungehorsams" wird von Theodor Ebert, einem führenden deutschen Verfechter der Sozialen Verteidigung, noch genauer begründet: Zitat: "'Zivil' ist der Ungehorsam dann, wenn er -  wie Gandhi im Februar 1922 nach misslichen Erfahrungen definierte - "höflich, wahrheitsliebend, bescheiden, klug, hart­näckig, doch wohlwollend, nie verbreche­risch und hasserfüllt" erfolgt. Bemerkenswertester Unterschied des zivilen Ungehorsams zur provokatorischen, potentiellen gewaltsamen Regelverletzung ist, dass sich die zivilen Ungehorsam Leistenden den Sanktionen ihrer Gegner auf keinen Fall gewaltsam widersetzen und sich ihnen - in der Regel - auch nicht durch Täuschung zu entziehen suchen. Gewaltsame Kampftechniken, Notwehr und Täuschung werden abgelehnt, weil sie bei den Trägern der Aktion, ihren Gegnern und den Beobachtern unerwünschte Reaktio­nen auslösen. Die von Frantz Fanon behauptete emanzipatorische Wirkung der Gewalt­anwendung wird bestritten, da systematische Gewaltanwendung eine Befreiungsorganisa­tion zu hierarchischen Strukturen, zur Un­tergrundarbeit und zur Einübung in ein immer waches Mißtrauen zwingt und so nach dem Abschluß der Kampfhandlungen diktatorische Strukturen vorhanden sind. Gewaltanwendung wird ferner abgelehnt, weil sie bei einem mächtigen Gegner in der Regel zur Eskala­tion der gegenseitigen Gewaltanwendung und zur extremen Steigerung der Opfer führt. In einem gewaltfreien Verhalten wird keine Garantie für einen Repressionsverzicht des Gegners gesehen; man rechnet jedoch damit, daß aufs Ganze gesehen die Opfer eines Befreiungskampfes geringer sind, wenn selbst auf extrem gewaltsame Repression immer gewaltfrei geantwortet und so dem Gegner keine zusätzliche Legitimation für seine Unterdrückungsmaßnahmen geboten wird. (Der indische Unabhängigkeitskampf mit gewaltfreien Methoden kostete - einschließlich der englischen Reaktion auf vereinzelte indische Gewaltakte - etwa 8000 Menschenleben; der algerische Unabhängigkeitskrieg im Anschluß an die blutige Unterdrückung einer gewaltlosen Demonstration in Sétif im Mai 1945 kostete etwa 150 000 bis 200 000 Menschenleben, bei einer etwa dreißigmal kleineren Gesamtbevölkerung. ) Schließlich werden Gewaltmethoden abgelehnt, weil in an in den Gegnern nicht beati possedentes. sondern unfreie, sich selbst entfremdete Menschen sieht. Das gewaltfreie Verhalten soll hier die übergreifende Solidarität mit dem Gegner als Menschen zum Ausdruck bringen. " (Th. Ebert: "Stichwort: Gewaltfreie Aktion" in: Gewaltfreie Aktion, Vierteljahrsheft für Frieden und Gerechtigkeit, 1. Jahrg. Heft 1/82) Beispiele für Aktionen dieser Art finden sich im Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920, gegen die Ruhrbesetzung 1923, gegen die deutsche Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkrieges in Dänemark und Norwegen, gegen die sowjetische Besetzung der CSSR 1968 und gegen das von der Sowjetunion gestützte Regime in Polen heute. Diese Aktionen waren bei weitem nicht immer erfolgreich. Für viele Kritiker ist schon das der Beweis, daß Soziale Verteidigung nicht funktionieren kann. Dabei übersehen sie allerdings meist, daß auch 50% aller Kriege nicht erfolgreich ausgehen (nämlich für den Verlierer) und daß es sich bisher meist nur um improvisierte Aktionen handelte. Gewisse Chancen auf Erfolg hätte Soziale Verteidigung, wenn sie gut vorbereitet würde, also wohl schon heute. Allerdings in der Tat, ihre Abschreckungswirkung - das sofortige Verschwinden aller Waffen auf seiten des Verteidigers und seiner Verbündeten vorausgesetzt - wäre zunächst wohl nur sehr begrenzt. - Aber ist das Grund genug, nicht einmal Schritte in diese Richtung zu tun? Freilich: Wenn Soziale Verteidigung gut funktionieren soll, dann ist eines die Grundvoraussetzung: eine Gesellschaftsordnung, für die die überwältigende Mehrheit bereit ist, sich eventuell bis zum Einsatz des Lebens einzusetzen. Eine Gesellschaft, in der Millionen und wieder Millionen bereit sind, für die Verteidigung ihr Leben aufs Spiel zu setzen und jedenfalls äußerste Entbehrungen (im Fall eines Streiks in lebenswichtigen Sektoren) in Kauf zu nehmen - eine solche Gesellschaft gibt es nach Ansicht der Kritiker der Sozialen Verteidigung nicht, und es wird sie wohl auch nicht geben. Das mag sein. Nur ist gerade eine solche Gesellschaft auch die unbedingt notwendige Voraussetzung für jede - moralisch zu rechtfertigende - atomare Abschreckung. Wie wir gesehen haben, setzt glaubwür­dige Abschreckung die Bereitschaft, im Zweifelsfall die Mittel auch wirklich einzusetzen, voraus. Atomare Abschreckung setzt also voraus, daß die Gesellschaft bereit ist, Millionen von Toten, die Zerstörung der Industrie und der Umwelt sowie unüber­sehbare Folgelasten für die folgenden Gene­rationen, im Ernstfall für die Verteidigung in Kauf zu nehmen. Wieso sollte sie glaubwürdig sein? Wir alle wissen, weshalb: Soziale Vertei­digung setzt voraus, daß der einzelne im Ernstfall zu seiner Entscheidung steht; im Atomkrieg hat keiner mehr die Möglichkeit, sich für Überleben statt Verteidigung zu entscheiden. Das macht den Unterschied der Glaubwürdigkeit Sozialer Verteidigung und atomarer Abschreckung aus. Sollen wir deshalb resignieren: Es gibt keine Alternative zur atomaren Abschreckung? oft schon in der Geschichte ermöglichten gesellschaftliche Veränderungen neue Kampfmethoden: die Schweizer Bauern gegen das deutsche Ritterheer; die Freiwilligenarmeen der französischen Revolution gegen die Armeen der absoluten Fürsten; spanische Guerillakämpfer gegen Napoleons Heer. Die bewährten Methoden versagten gegen einen Gegner, der besser wußte, wofür er kämpfte. Gegen einen Streik helfen keine Atomwaffen. Soziale Verteidigung eine Utopie? Unbedingt.  Aber atomare Abschreckungsstrategie als Alternative könnte den Weg zu ihr ebnen. jedenfalls für Christen – oder? (1983)    

Fortschritt und Verantwortung


1.Vom Fortschrittsoptimismus zur Selbstbesinnung
 
Sie kennen sicher die Science-Fiction­Vorstellung  vom Zeitreisenden: Mit Hilfe einer Zeitmaschine können Men­schen der Zukunft in die Vergangenheit reisen. Dann kennen Sie wahrscheinlich auch die Überlegung, die seit Spielbergs Film 'Back to the Future' für viele selbstverständliches Gedankengut geworden ist, nämlich, dass der Zeitreisende durch Eingriffe in die Vergangenheit seine eigene Gegenwart und damit sich selbst zerstört. Brutal in der Vorstellung, er töte einen seiner Vorfahren, subtiler in der Vorstellung, er steche seinen eigenen Vater als Liebhaber der Mutter aus (so bei Spielberg) und psychologisch gewendet in Frischs Stück 'Biografie', wo der Mann seine Biographie trotz des ihm gegebenen Angebots nicht verändern kann, weil er letztlich als der, der er geworden ist, die anderen Möglichkeiten, trotz allen Klagens über versäumte Chancen, dann doch nicht wollen kann. Was für die Biographie eines einzelnen nur (?) ein Spiel ist, ist eine bedenkenswerte geschichtsphilosophische Vorstellung für die gesamte Menschheit: Wenn es im Jahre 4000 n.Chr. Menschen geben sollte, dann könnten die nicht sinnvoll eine Änderung der Geschichte im Jahre 2000 n.Chr. wollen, da sie ihre eigene Existenz aufhöbe. Insofern wird jede Epoche die bisherige Geschichte als Vorgeschichte ihrer eigenen begreifen. Gleichzeitig erweist sich aber die Vorstellung, den Sinn der Geschichte an sich erkennen zu wollen oder gar erkannt zu haben (wie etwa bei Hegel und Marx) als lächerliche Selbstüberschätzung, als Hybris. Wir können stets nur den Sinn der Geschichte für uns erkennen. In der Formulierung 'Wenn es im Jahre 4000 n.Chr. Menschen geben sollte ..', steckt eine wesentliche Erfahrung unserer Tage. Früher hätte man noch formuliert: 'Die Menschen im Jahr 4000 n. Chr  Heute sind wir uns nicht mehr so sicher, ob es im Jahr 4000, 3000 oder 2050 noch Menschen gibt. Diese Erkenntnis über die Fähigkeit der Menschheit, sich selbst zu zerstören, sei es über einen Atomkrieg mit nuklearem Winter oder über die Vernichtung unserer Umwelt, unserer Lebensvoraussetzung, oder schließlich durch Schaffung eines neuen Menschen durch Gentechnologie, hat uns ein neues Selbstverständnis gegeben. Marx' 'Reich der Freiheit', die Vorstellung freier Selbstverwirklichung, ist uns doppelt fragwürdig geworden: Zum einen, weil der Run auf die Selbstver­wirklichung, der absolute Egotrip, vor unseren Augen schon zu oft durch­geführt worden ist und nicht nur zu vielen gescheiterten Ehen, zu zer­schlagenen Hoffnungen, sondern auch zur großen Sinnleere geführt hat. Zum anderen aber - und das ist weit wichtiger - weil es unsere Überfluss­gesellschaft, die Gesellschaft, die Herbert Marcuse und seine Anhänger der Studentenbewegung von 1968 noch für die allgemeine Gesellschaft der Zukunft gehalten hatten, nur aufgrund einer doppelten Ausbeutung gibt: der der Dritten Welt und der der Rohstoff­ und Energiereserven der Erde. Nun gibt es genügend Menschen, die - trotz rund 60 Millionen Hungertoten im Jahr (das sind ebensoviel wie alle Opfer des 6 Jahre dauernden 2.Welt­krieges) - bestreiten würden, dass die Dritte Welt ausgebeutet wird. Deshalb verfolge ich dieses Argument nicht weiter, obwohl ich glaube, dass diese Menschen nichts sind als 'reiche Jünglinge', die durch ihren Reichtum am Erkennen der Wahrheit gehindert werden; 'denn er hatte viele Güter...'. Unbestreitbar aber ist die Ausbeutung der Erde. Auch hier lässt sich, um das Bestehende zu rechtfertigen, argumen­tieren, die Rohstoffkrise werde nie eintreten, weil die Wissenschaft immer rechtzeitig vor dem Ausgehen eines Rohstoffes 'neue, bessere an seine Stelle setzen werde. Viele sind ja trotz Tschernobyl noch der Meinung, das Erdöl sei als Energiequelle längst durch die Kernspaltung ersetzbar und Energiesparen sei sinnlose Askese, die Suche nach umweltfreundlichen Energien sei Zeitverschwendung. Eins aber wird heute nicht mehr ernsthaft bestritten: Die Umweltkosten moderner Technik wurden bei den Vorstellungen von der Überflussgesellschaft nicht eingerechnet. Wer etwa einen Teil des deutschen Waldes noch retten will, muss dafür Milliardensummen ausgeben, wer das nicht tut, zahlt einen noch höheren Preis. Aus dieser Erkenntnis, dass der Fortschritt, den wir vorantreiben, ungeheure negative Folgen hat, die es zu begrenzen gilt, hat sich die Bewegung der Umweltinitiativen, die in die grünen Parteien mündeten, entwickelt. Wir können ungeheuer viel mehr machen als früher, und wir sehen Folgen dieses Tuns für eine weite Zu­kunft voraus (bei der Kernspaltung geht es um Tausende und Hunderttau­sende von Jahren, für die wir höchst­gefährlichen Müll produzieren). Deshalb muss Verantwortung für uns zu einer zentralen moralischen Kategorie werden. Wir dürfen nicht mehr nach dem Grundsatz verfahren: Ich weiß nicht, ob es besser wird; aber ich weiß, dass es anders werden muss, wenn es gut werden soll. Sondern wir dürfen nur noch das Verantwortbare tun. Man hat von dem Auslösecharakter unseres Handelns gesprochen. Unser Tun und der Effekt, den es hat, haben für uns zunächst keinen erkennbaren Zusammen­hang. Der Gebrauch eines morgendlichen Deo‑Sprays und die Zerstörung der Ozonschicht unserer Atmosphäre wurde lange nicht im Zusammenhang gesehen. Was alles für die Zerstörung des Waldes verantwortlich ist, wissen wir immer noch nicht. Wer verantwortlich ist, nämlich wir Menschen, das wissen wir schon länger. Diese Erkenntnis der Gefährlichkeit des Fortschritts hat uns dazu geführt, dass wir die Wertsetzungen bewahrender Gesellschaften zu schätzen lernten: der Indianer ('Jeder Teil dieser Erde ist meinem Volk heilig'), der Afrikaner (Sich-Einsfühlen mit der Natur) und der Chinesen (u.a. auch der Taoisten, die folgerecht das 'Nicht­Handeln' zur obersten  Tugend erklärten).  

2. Moral und Verantwortung

Kennedy und MacMillan 'sind noch um vieles ärger als Hitler'. Dies Wort des Philosophen Bertrand Russell vom 15.4.1961 ist erschreckend. Wie kann er diese demokratischen, überdies an hohen Idealen sich ausrichtenden Politiker mit dem Diktator vergleichen, der für den schrecklichsten Völkermord der Geschichte verantwort­lich ist? Natürlich hat er Unrecht. Jedenfalls, soweit es um die moralische Wertung geht. Denn Hitler hat den Völkermord gewollt, Kennedy aber hat den Weg in eine demokrati­sche, soziale Gesellschaft gewiesen. Wie tragisch, dass die Attentate auf Hitler scheiterten, dass das auf Kennedy gelang! Doch es gilt weiter zu fragen. Was macht die Tat Hitlers so grenzenlos verwerflich? Judenpogrome hat es in der Geschichte wieder und wieder gegeben. Das Neue ist, dass mit geradezu industriellen Methoden Völkermord betrieben wurde, dass Menschen, die keinen Hass gegen Juden empfanden (die gab es auch), nur aus Gehorsam am Massenmord schuldig wurden, dass sogar Juden selbst gezwungen wurden, die Mordmaschinerie effizienter zu gestalten. Und Hitler sagte: 'Ich übernehme die Verantwortung.' Eine Verantwortung, die kein Mensch über­nehmen kann. Und dagegen Kennedy! Aber was wäre, wenn die Kubakrise 1962 anders verlaufen wäre, wenn sie zum Dritten Weltkrieg geführt hätte (was selbst John F. Kennedy damals nicht für ausgeschlossen hielt), wie müsste man dann das Ergebnis beurteilen? 500 Millionen Tote, eine Milliarde, zwei Milliarden oder mehr - so hätte das Ergebnis ausgesehen. Und dies verglichen mit den rund 60 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges (eine Zahl, die den grauenhaften Völkermord an den Juden einschließt). Was ist schrecklicher, welches Ergebnis wäre für die Menschheit folgenschwerer? Und wer wäre daran schuld? Kennedy, der ohne Zweifel den Krieg nicht wollte, der ihn vielmehr durch eine Demonstra­tion der Stärke unwahrscheinlicher machen wollte? Chrustschow, der den Krieg ebenfalls nicht wollte, der nur die Ausgangsposition der Sowjetunion verbessern wollte, aus seiner Sicht das Ungleichgewicht zugunsten der USA etwas verringern wollte? Oder die Soldaten, die ihre Befehle befolgten? Wer wäre schuld, wenn morgen durch einen Computerfehler der atomare Schlagabtausch ausgelöst würde? Der Mann am Terminal, der den Fehler nicht erkennt? Die Programmierer, die nicht verhindert haben, dass solch ein Fehler zustandekommen konnte? Wir sehen, das System der atomaren Abschreckung schafft eine Verantwortung, die kein Mensch übernehmen kann. Mehr noch: Jeder Mensch, der für dieses System mitverantwortlich ist, trägt eine Verantwortung, die ungeheuerlicher ist als selbst die, die Hitler frevlerischerweise zu übernehmen versprach. Jeder, der in diesem System verantwortlich ist und nicht alles tut, um für Entspannung zu sorgen und es wieder abzubauen - so wie der Parteisekretär Gorbatschow es ein Stück getan hat - trägt mit an einer Verantwortung, die kein Mensch trage kann. Könnte die Menschheit sie tragen? Im Blick auf alle kommende Generationen, die mit untergingen? Kein Zweifel daran, dass Kennedy und MacMillan moralischer waren als Hitler. Doch es ist unwahrscheinlich, dass die, die für den Dritte Weltkrieg verantwortlich sein werden, unmoralischer sein werden. - Wer heute verantwortlich handelt, muss dazu beitragen, die Verantwortung, die er selbst und die künftige Generation haben werden, wieder auf ein menschliches Maß zurückzuführen. Aber Sie und ich, wir brauchen uns nicht darum zu kümmern?  

Nachtrag (1990)
Meine kleine Artikelserie 'Fortschritt und Verantwortung' (vgl. Londoner Bote - Hefte Nr. 7 und 8-9/89)  ist vor ca. zwei Jahren entstanden. Seitdem hat sich wieder einiges verändert. Die Grünen haben in England einen großen Wahlerfolg bei den Europawahlen gehabt, Gorbatschow hat weitere beachtenswerte Abrüstungsvorschlä­ge gemacht, aber im innerpolitischen Raum zeigen sich schon ganz deutlich die Schwierigkeiten, die eine Politik, die nicht auf Unter­drückung basiert, sondern Freiheit zum Ziel hat, mit sich bringt. In der DDR sehen wir, was für positive Auswirkungen eine solche Politik hat und wie Gorbatschows Verzicht auf Macht über seine Verbündeten menschlichere Verhältnisse begründen kann. Die Umweltzerstörung und die Erkenntnisse darüber haben zugenommen. Für mich kommt eine ganz private Änderung hinzu: Ich bin nach Deutschland zurückgekommen. Dort erlebe ich (was ich vorher schon wusste), dass hier vieles schon Brauch geworden ist, was es in England noch nicht so gab, z.B. phosphatfreie Waschmittel, umweltverträgliche Reinigungsmittel, konsequente Trennung des Hausmülls, Verzicht auf Regen­waldhölzer (z.B. Teak, Miranti). Anderes wie z.B. Sonnenkollektoren als Warmwasserbereiter, Zisternen für Brauchwasser (Wäsche und Toilettenspülung), ein Automobilklub, der für Geschwindigkeitsbeschränkungen eintritt, steckt noch mehr in den Anfängen, ist aber längst über das Experimentierstadium hinaus. Fast stets ist die Entscheidung für das umweltfreundlichere Produkt mit mehr Aufwand verbunden: der Suche, wo es das Produkt gibt, der Zahlung eines etwas höheren Preises, gelegentlich auch mit dem Verzicht auf eine Bequemlichkeit. Wenn wir zeigen, dass wir dazu bereit sind. werden wir der Industrie und den Politikern helfen, sich umzustellen. Schon jetzt wissen wir, dass einige gewaltige - hoffentlich nicht katastrophale! - Umweltveränderungen (z.B. Klima) eintreten werden. Vieles ist schon passiert, auch ohne dass wir es bemerkt haben. Ich bin überzeugt, dass in zwanzig Jahren nicht nur die kommende Generation, sondern bis auf wenige Unbelehrbare wir alle uns fragen werden: Wie konnte es dazu kommen? Die Antwort ist, jetzt schon klar. Wir haben zu spät unser Verhalten geändert, wir waren zu lange Mitläufer beim System der Umweltzerstörung. Machen Sie nicht mehr mit, ändern Sie noch heute Ihren Kurs! Hier gibt es kein Recht auf Resignation. Wie wir bei der DDR gesehen haben, kann auch ganz unmöglich Scheinendes plötzlich möglich werden, wenn nur alles es wollen und - und das ist das Entscheidende - auch wirklich danach handeln. 40 Jahre lang haben alle über die Verhältnisse geklagt. Lange ließ sich nichts machen, und die meisten verfielen in Resignation. Nur relativ wenige haben immer wieder trotz empfindlicher Strafen ihren Protest formuliert. Scheinbar aussichtslos. Manche sind auch gestorben, bevor sie den Wechsel erleben konnten. Jetzt aber ist er geschehen, weil viele - längst nicht alle - sich. mitreißen ließen, ihren Protest öffentlich zu formulieren und ihre Sache mit ganzem Herzen zu vertreten. Auch wir dürfen uns nicht dabei beruhigen, wir könnten doch nichts ändern. Es geschieht schon etwas . Es bleibt zu wenig, wenn wir uns nicht anschließen. Wenn eine ökologische Katastrophe eintritt, wird man uns mit noch mehr Recht als den Mitläufern des Naziregimes sagen können: "Ihr habt es doch gewusst!" Wir wissen es. Deshalb fangen Sie heute an! Leben Sie umweltbewusst, prüfen Sie die Produkte, die Sie kaufen, fragen Sie bei offiziellen Stellen nach Recyclingmöglichkeiten für Papier, Metalle, Batterien, ehe es zu spät ist! Wählen Sie keine Partei, die nicht glaubhaft für Umweltschutz eintritt. Sie und ich sind mitverantwortlich.

Nachtrag 2004:

Gewichte haben sich verschoben. Die Atomkriegsgefahr geht nicht mehr von den beiden Supermächten aus, weil es sie so nicht mehr gibt, der verhaltene Optimismus in Sachen umweltfreundliche Produkte, der im vorangehenden Artikel deutlich wird, ist trotz des Engagements von Millionen und rot-grüner Bundesregierung kaum noch gerechtfertigt. Da hat die Globalisierung die staatlichen Mittel zur Förderung des Umweltschutzes weggefressen. Unsere Mitverantwortung aber bleibt. Und es gibt auch politische Kräfte, die auf die Herausforderung antworten. Noch sind es schwache Kräfte - wie am Anfang der Gottesfriedenbewegung.  

Paradoxien unserer Demokratie  

16.1.05:
Die SPD gewinnt wieder an Popularität. Dadurch liegen jetzt Rot-Grün und Schwarz-Gelb wieder etwa gleichauf und die politische Ungerechtigkeit, dass die Union Stimmen gewinnt, weil die SPD das tut, was die Union auch will, ist im Augenblick aus dem Weg geschafft. Diese Ungerechtigkeit war freilich auf eine politisch sinnvolle und angemessene Reaktion der SPD-Wähler zurückzuführen. Denn diese haben sich (zum Teil) von der Partei abgewandt, weil sie nicht mehr die Positionen vertreten hat, wegen derer sie 1998 gewählt worden war und die das Charakteristikum der SPD darstellten, nämlich: die Interessen der sozial Schwächeren gegen die Starken zu vertreten. Weil einerseits eine politische Ungerechtigkeit vorlag und andererseits die Wähler sich völlig richtig im Sinne von Demokratie als Interessenvertretung des Volkes verhalten haben, ist der Vorgang nicht einfach zu bewerten. Einerseits hätte ein konsequentes Durchhalten der Position „Die SPD vertritt nicht meine Position. Also kann ich sie nicht wählen.“ dazu geführt, dass die Partei an die Macht gekommen wäre, die noch mehr gegen die Interessen der verärgerten SPD-Wähler handelte. Das wäre eindeutig gegen das Interesse dieser Wähler. Andererseits wären Sie mit einer Unionsregierung wieder in der Lage gewesen, ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, indem sie eine Partei wählen, die gegen die Politik auftritt, die sie, diese Wähler, ablehnen. Im Sinne von Demokratie wäre dieser Vorgang freilich nicht eigentlich. Denn die Entscheidung, im Sinne der eigenen Position zu wählen, hätte ja dazu geführt, dass die Position, die man ablehnt, gestärkt wurde.  Dass Wähler in eine solche Zwangslage geraten, liegt daran, dass wir uns gegenwärtig in einer Zwei-Lager-Konstellation befinden. Schwächung des einen Lagers bedeutet Stärkung des anderen. Dies wiederum ist darauf zurückzuführen, dass die Partei links von der SPD für die meisten Wähler nicht wählbar ist.  Das entsprechende Dilemma stellt sich übrigens auf der anderen Seite. Wähler, denen der Kurs von Union und FDP nicht rechts genug ist, die aber nicht rechtsradikal wählen wollen, werden durch Wahlenthaltung das rot-grüne Lager stärken. Dass die Konstellationen so sind, hilft freilich zur Reformfähigkeit von Demokratie. Parteien können sich nämlich leisten, auch unpopuläre Maßnahmen zu vertreten, solange die Wähler, die sie mit ihren Maßnahmen verprellen, keine Wahlalternative haben. Nur wird es immer dann problematisch, wenn die Reformen in eine Richtung führen müssten, die in beiden Volksparteien keine Lobby haben. Aus dem Dilemma hat einmal die Parteigrün­dung der Grünen geholfen. Die Belange der Umwelt werden inzwischen etwas stärker wahrgenommen. Es fehlt freilich eine Partei, die für die Belange der Einen Welt eintritt. (globale Gerechtigkeit) So kommt es zu der Paradoxie, dass die einzigen, die sich für globale Belange einsetzen, als „Globalisierungsgegner“ bezeichnet werden. Die Situation ist nicht nur frustrierend, sondern auch kompliziert. Nicht eben übersichtlicher wird sie dadurch, dass wir in Deutschland materiell enorm davon profitieren, dass es auf der Welt ungerecht zugeht. So heißt Eintreten für die langfristigen Interessen (Gerechtigkeit) Handeln gegen die kurzfristigen eigenen Interessen. Doch das ist ja nicht ungewöhnlich. Erschreckend die Parallele der heutigen Situation mit den Vorgängen von 1929/30:
Zum einen, dass die „schwerindustriellen Gruppen die Chance zu dem Versuch, das Rad der deutschen Geschichte wieder zurückzudrehen [sahen], wobei [...] die Rückkehr zu einem rein privatkapitalistischen Wirtschaftssystem unter radikaler Beschneidung der sozialpolitischen Errungenschaften des letzten Jahrzehnts als Ziel vorschwebte“ 
„Der Reichskanzler nahm dabei die zeitweise Verelendung immer größerer Gruppen des deutschen Volkes ebenso in Kauf wie die politische Radikalisierung auf der Rechten, die er zuversichtlich sogar noch in sein politisches Kalkül einbauen zu können glaubte.“
„Tatsächlich aber konnten solche widersprüchlichen wirtschaftspolitischen Doktrinen überhaupt nur Anklang finden, weil die Regierung und die demokratischen Parteien jede Orientierung verloren hatten und BRÜNING es für müßig hielt, sich konsequent um Verständnis für seine Politik bei den breiten Schichten des Volkes zu bemühen. Im Gegenteil, der Reichskanzler hielt es sogar für eine Tugend, keine Rücksicht auf die Stimmung der breiten Massen zu nehmen.“ (Alle Zitate aus: Wolfgang Mommsen: 1933. Die Flucht in den Führerstaat, in: Wendepunkte deutscher Geschichte 1848-1990, hg. C. Stern u. H.A. Winkler, Frankfurt 1994, S.127 ff.) 
Man ersetze Reichskanzler durch Bundeskanzler und Brüning durch Schröder und setze den Text in die Gegenwart. Er passt erschreckend gut, auch wenn wir von Schröder zu wissen glauben, dass er sich mehr an der öffentlichen Meinung orientiert als daran, was in der gegebenen Situation die angemessene Politik ist. (19.9.04)

Hartz IV ist nicht nur deshalb falsch, weil es auf ein Wachstum setzt, das es so in der Bundesrepublik nicht mehr geben kann, sondern auch deshalb, weil es von einer Politik begleitet wird, die gerade die Arbeitsplätze vernichtet, die die Arbeitslosen – von Hartz IV gedrängt – besetzen sollen. 
Dass diese Arbeitsplatzvernichtung nicht allein von den Unternehmen ausgeht, sondern dass der Staat viel dazu beiträgt, ist freilich nicht ganz leicht zu erkennen. Man muss dafür erst wieder sehen lernen, was rationelles Wirtschaften heißt und was der Staat dazu beitragen kann und muss.
Die grundlegende Definition von Wirtschaften ist: die rationale Verwendung knapper Ressourcen zur Bedürfnisbefriedigung. Arbeit ist gegenwärtig reichlich vorhanden. (Das beweist die allseits hohe Arbeitslosigkeit.) Knapp sind Rohstoffe und Energie.
Logisch wäre es also, Rohstoffe und Energie einzusparen und Arbeit großzügig einzusetzen. Bei uns ist das Gegenteil der Fall, weil wirtschaftliche Anreize primär dafür geschaffen werden, Arbeit einzusparen. (Deshalb das Ansteigen der Aktienkurse, wenn eine Firma Tausende entlässt.) Demgegenüber wird das Einsparen von Rohstoffen kaum belohnt. Erst wenn es für den einzelnen Unternehmer lohnender ist, Rohstoffe und Energie einzusparen, als Arbeitskräfte zu entlassen, kann er wirklich wirtschaftlich arbeiten.
Dafür zu sorgen, dass er das kann, ist Aufgabe des Staates. Doch die großen Parteien und neuerdings sogar die Grünen (!) verweigern sich. Darin werden sie von einer Wirtschaftslobby, die man besser Anti-Wirtschaftlichkeitslobby nennen sollte, noch bestärkt. 
Eine zweite Aufgabe des Staates ist es, die Bedürfnisse zu befriedigen, die der einzelne nicht sinnvoll befriedigen kann: z.B. für Sicherheit sorgen (wenn jeder einzelne sich Waffen kauft, nimmt sie nur ab), für Rechtssicherheit sorgen usw.. Auch diese Aufgabe nimmt der Staat immer weniger wahr. Und zwar – wir wissen es – aus Personalmangel. Wenn es nicht allseits bekannt wäre, könnten wir es gar nicht glauben: Es gibt Millionen von Arbeitslosen, die weitgehend – personalaufwändig - vom Staat unterhalten werden, und der Staat kann seine Aufgaben wegen Personalmangels nicht erfüllen. 
Der Grund dafür ist, dass der Staat von den Unternehmern den falschen Grundsatz übernommen hat: Wirtschaftlich ist nur, was Personal einspart. – Dabei geht es doch darum, knappe Ressourcen sparsam einzusetzen, um möglichst effektiv die dringlichsten Bedürfnisse zu befriedigen. 
Wenn das geschähe, gäbe es mehr Arbeitsplätze, mehr Inlandskonsum und die Basis für solides Wachstum. (19.9.04)

Privatisieren kann zum Götzen werden
Man könnte an Satire glauben, wenn man das gebetsmühlenhafte "liberalisieren und privatisieren" von John Jungclaussen liest. Denn er selbst liefert ja die Argumente mit, weshalb es wider alle Vernunft ist, wie in Großbritannien privatisiert wird (Die "Royal Mail nach ihrer Privatisierung durch eklatante Managementfehler in einem derartig heillosen Chaos versunken, dass ...". Und vorbildlich erscheint ihm, dass RWE mit den Sonderprofiten, die ihnen der fehlende Wettbewerb auf dem deutschen Markt beschert, britische Firmen aufkauft. Liberalisierung, um Wettbewerb zu beseitigen. 
Leider ist Gebetsmühlendrehen statt denken in der Wirtschaftsdiskussion inzwischen so verbreitet, dass zu befürchten ist, dass nicht jeder erkennt, was hier los ist: 
Religiöse Inbrunst ist in der Wirtschaft fehl am Platz. Da sollte rationale Zielorientierung herrschen. (Von den Amerikanern lernen könnte auch hier eine sinnvolle Devise sein. Öfter mal Stiglitz lesen.) (9.9.04)

Bei Hartz IV wird es nicht bleiben
Eins muss man ihm lassen. Ehrlich ist der Mann. Bevor er den umstrittensten Versuch einer Arbeitsmarktreform seit Jahren überhaupt nur durchgebracht hat, erklärt der zuständige Minister Clement: „Den Glauben, dass wir mit den Arbeitsmarktreformen die Wirtschaft in Gang bringen, können wir vergessen.“ (BA vom 1.9.04)
Er gibt also von vornherein zu, dass die Rechtfertigung, mit man das Gesetz zu verkaufen gesucht hat, völlig falsch ist. 
Das kann man von den Vertretern der anderen Seite nicht sagen: Führende Vertreter der CDU/CSU empören sich öffentlich gerade über die Bestimmungen von Hartz IV, die sie selbst durchgesetzt haben. Nur Dr. Meister in der CDU macht eine rühmliche Ausnahme. Er bekennt sich zu dem Gesetz und gibt andererseits ehrlich zu, dass der Kreis Bergstraße dafür wird „viel Geld auf den Tisch blättern“ müssen und dass es den Arbeitslosen kaum helfen wird. („Dass die Generation ‚55 plus’ in eine Sackgasse läuft, ist eine Katastrophe.“ BA vom 1.9.04)
Wie kommt es, dass die, die ein Gesetz beschließen, entweder nicht zugeben wollen, dass sie dafür waren, oder wenn sie ehrlich sind, zugeben, dass es die entscheidenden Probleme nicht löst? 
Der Grund ist ganz einfach. Die neoliberale Wirtschaftspolitik greift nicht, und nun wird Gesetz für Gesetz nachgeschoben, um ihr irgendwie doch noch zur Wirkung zu verhelfen. So wie man im Mittelalter Menschen mit zu niedrigem Blutdruck zur Ader ließ und wenn dies nicht half, sie nochmals zur Ader ließ. 
Die deutsche Wirtschaft ist international äußerst konkurrenzfähig. Trotz des gestiegenen Euro erreicht sie Exportrekord nach Exportrekord. Woran es fehlt, ist die Inlandsnachfrage. Was tut man, um zu helfen? Man verringert die Kaufkraft im Inland und zwingt gerade die zu sparen, die fast jeden Euro, den sie erhalten, auf dem Inlandsmarkt ausgeben. Dagegen fördert man die, die ihre Geld im Ausland investieren, um Arbeitsplätze dorthin zu verlagern. 

Bei dem Rezept kann es nicht vorangehen. Auf Hartz IV wird Hartz V folgen, darauf Hartz VI und das nächste Gesetz derselben Machart heißt dann vielleicht Merkel I. Helfen können alle nicht. Denn Arbeit wird auf anderem Wege geschaffen. 
Der Grundirrtum, der der neoliberalen Wirtschaftspolitik zugrunde liegt, ist nämlich der, dass strukturelle Arbeitslosigkeit heute noch durch Wirtschaftswachstum beseitigt werden könnte. Weil es in der Zeit des Wirtschaftswunders ging, tut man so, als ginge es noch heute. Dabei weiß jeder, der die Wirtschaftsentwicklung in der Bundesrepublik verfolgt hat, dass die Wachstumsraten kontinuierlich gefallen sind. Hätten wir die Wachstumsraten aus der Zeit des Wirtschaftswunders beibehalten wollen, müssten wir heute mehr produzieren als USA, Japan und alle EU-Staaten (außer uns) zusammen. 
Weshalb will man uns trotzdem weismachen, dass es möglich wäre? Will man uns wirklich für dumm verkaufen? (1.9.04)

Demokratie
Unter Demokratie stellt man sich einen Staat vor, in dem "jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken" (Willy Brandt, 1969).
Gegenwärtig dienen alle „Reformen“ nur der Finanzierung der Steuerentlastung für Unternehmen. 
Bis tief in die 80er Jahre gab es eine Partei, die gegen diese Tendenzen angekämpft hat. Von ihrem Parteivorsitzenden Brandt stammt das Wort "Wir wollen mehr Demokratie wagen." Diese Partei gibt es nicht mehr.
Denn inzwischen ist der Gedanke an Demokratie eine Horrorvorstellung für jeden, der noch versucht, in der BRD Politik zu gestalten. Denn Demokratie ist mit unserer Art von Wirtschaftsorganisation nicht vereinbar. 
Aber in vielen europäischen Staaten ist das Interesse an Demokratie noch frisch. Es gibt also noch Hoffnung. (20.6.04)

Ist es zu spät?
Nach Bushs letzter Rede ist es mit den Händen zu greifen, aber keiner spricht es aus. 
Die letzte Chance, den Irak zur Herausgabe seiner Massenvernichtungswaffen zu bringen, ist so gut wie dahin. Da der Irak jetzt mit einem Angriff des USA rechnen muß, wäre es widersinnig, wenn er im letzten Moment sein einziges Abschreckungspotential ausliefern würde. 
Das könnte er nämlich nur tun, wenn er überzeugt sein könnte, dass diese Handlung die USA dazu bringen würde, auf einen Angriff zu verzichten. Spätestens nach dieser Rede und der unentschiedenen Haltung der meisten Verbündeten der USA und der Sicherheitsratsmitglieder kann er aber nicht mehr darauf rechnen. 
Zwar sind die europäischen Regierungschefs wohl alle gegen den Krieg, wenn der Irak kooperationswillig ist, aber nur Schröder ist Bushs überzogenen Kriegsdrohungen deutlich genug entgegengetreten. Wenn der Test, ob der Irak zur Mitarbeit bereit ist, nicht mehr gemacht werden kann, so liegt es mit an der unklaren Haltung der anderen europäischen Regierungen.
Bleibt nur noch die Hoffnung, dass sie Bush im letzten Moment doch noch zurückhalten können. (31.1.2003)


Wie kann man Terrorismus bekämpfen?
Terrorismus ist sehr schwer zu bekämpfen.
Innerhalb eines Landes kann man ihn bekämpfen, indem man ihm keine Zugeständnisse macht, ihm die Tätigkeit so weit als möglich erschwert und ihm Sympathisanten entzieht, indem man das, was aus ihrer Sicht als Missstand erscheint, weitestgehend entfernt.
Der Weg ist äußerst beschwerlich, hat sich aber bei der Bekämpfung des Terrors in der Bundesrepublik durch die RAF als gangbar erwiesen.
Weit schwieriger ist es, wenn sich innerhalb eines Landes zwei miteinander verfeindete Terrorgruppen gegenüber stehen. Ein Beispiel sind protestantische und katholische Terrorgruppen in Nordirland, die die bestehenden Friedensbemühungen immer wieder zu durchkreuzen verstehen. Ein anderes waren arabische und jüdische Terrorgruppen zur Zeit des britischen Mandats in Palästina. (Die Briten gaben nach erfolglosen Versuchen der Unterdrückung des Terrors auf, entließen das Land aus ihrer Herrschaft und gaben damit den Weg in die israelische Unabhängigkeit und viele folgende Kriege frei.)
Noch problematischer ist das Vorgehen gegen terroristische Regierungen. Der Erfolg der Alliierten gegen Hitlerdeutschland, der über militärische Niederwerfung des Staates bis zur unbedingten Kapitulation und Entnazifizierung im Westen zu einer erstaunlich stabilen Demokratie führte, ist eher eine Ausnahme. 
Eher die Regel sind Beispiele wie der stalinistische Terror in der Sowjetunion, der selbst nach dem Tod des Diktators zunächst noch kein Ende fand. (Die endgültige Beseitigung des Terrors unter Gorbatschow führte zum Zusammenbruch der Sowjetunion und wenig demokratische Regierungen in den Nachfolgestaaten, die ihrerseits die Ausbildung stabiler Mafiastrukturen nicht verhindern konnten.) 
Doch die Vorgänge von 1989 in Mittel- und Osteuropa begründen andererseits die Hoffnung, dass auch Staatsterror sich nicht langfristig halten muss und dass demokratische Gegenbewegungen unter günstigen Umständen Erfolg haben können. 

Andere Methoden der Terrorbekämpfung wie etwa das russische Vorgehen gegen Tschetschenien zur Bekämpfung von Terroristen in Russland galten bisher als wenig vorbildlich. Sie geben wenig Hoffnung, dass nichtstaatliche Terroristengruppen durch Vorgehen gegen Staaten unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel bekämpft werden können 
(2001)

Protest gegen Luftkrieg der NATO
Wir verurteilen die Entscheidung der Bundesregierung für einen Luftkrieg der NATO gegen Serbien und aller Gremien und Mitglieder der SPD, die diese Entscheidung gebilligt haben. 

In der Öffentlichkeit sind hauptsächlich drei Argumente bekannt geworden, die für diese Entscheidung sprachen.
1. Es gelte die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo zu beenden.
2. Die Bundesrepublik dürfe in der NATO keine Sonderrolle mehr beanspruchen.
3. Natürlich habe man die Entscheidung ursprünglich nicht gewollt, aber als Jugoslawien bei den Verhandlungen nicht nachgegeben habe, sei keine andere Möglichkeit mehr geblieben.

Zum ersten:
Die Menschenrechtsverletzungen wurden nicht beendet, sondern haben infolge der Angriffe in erschreckendem Ausmaße zugenommen. 
Das war vorhersehbar, und bis heute ist keine Argumentation bekannt geworden, die glaubhaft gemacht hätte, daß man das nicht vorhergesehen hat. Auch ist nicht zu sehen, wie die Luftangriffe in Zukunft ein Ende der Menschenrechtsverletzungen herbeiführen könnten.

Zum zweiten:
Die Bundesrepublik hat keinen Anspruch auf Sonderrechte. Sie wird ihrer Verantwortung aber nicht gerecht, wenn sie Entscheidungen mitträgt, die gegen das Interesse der Völkergemeinschaft sind. 
Die Entscheidung für den Luftkrieg der NATO gegen Serbien widerspricht der Charta der Vereinten Nationen und dem Grundgesetz und zwar sowohl dem Wortlaut als auch dem Geist. 
Sie widerspricht insbesondere der Tradition der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Das einzige Mal, wo die SPD von dieser Tradition abgewichen ist (1914), erwies sich das Ergebnis als verhängnisvoll für Deutschland und die Welt.

Zum dritten: 
Wenn der Luftkrieg falsch ist, weil er das gesetzte Ziel (Beendigung der Menschenrechtsverletzungen) nicht erreichen kann, dann war auch die Drohung falsch, weil sie nicht glaubwürdig war. 
Entscheidende Fehler sind freilich schon vor den Verhandlungen gemacht worden und weder von der gegenwärtigen Regierung noch von der SPD zu verantworten. Aber der verhängnisvollste Schritt war der Angriff. Diesen Schritt durfte man trotz aller vorherigen Fehler nicht gehen.

Wir verurteilen die Entscheidung für den Luftkrieg in aller Schärfe. 
Wir wollen nicht durch Schweigen mitschuldig werden. (7.4.1999)

  Bei der gegenwärtigen Lage in der lokalen Politik: CDU und Grüne vor Gesprächen über Kooperation wüßte ich gar keine Partei mehr, die ich wählen wollte. CDU in ihrer ganzen Linie gegen meine Vorstellungen, SPD schwach und ohne energisches Konzept, FWG zu konservativ, Grüne zerstritten und jetzt sogar noch mit dem Hauptgegner, der CDU. Was nun? Zum Glück sind ja keine Wahlen. Im Land stehen ja Wahlen aus. Da bin ich über die Schulpolitik schon verärgert. Werden es wohl die Grünen werden. An Positivem für das Jahr festzuhalten: Nelson Mandela an der Macht, vorläufig ohne große innere Auseinandersetzungen. Ingangkommen des Friedensprozesses zwischen Palästinensern und Israel und auch Jordanien und ansatzweise Syrien. Schreckliche Störungsversuche von seiten konservativer Israelis und radikaler Palästinenser gibt es leider auch. (31.12.94)  Zwar habe ich mich dagegen entschieden, einen Leserbrief in Sachen Kampfeinsätze der Bundeswehr zu schreiben, ich bin gegenwärtig auch zu müde, um sauber zu formulieren, aber ich möchte doch einmal festhalten, was ich von der Sache halte. Am Karfreitag war ich auf dem Ostermarsch mit der Abschlußkundgebung in Zwingenberg, auf dem die Hauptforderung das Stoppen der Kampfeinsätze der BW "out of area" war. Außerdem wurde ein Verbot von Waffenexporten, die Auflösung der NATO und langfristig die Auflösung der Bundeswehr und aller nationalen Armeen gefordert. Zu diesen Forderungen stehe ich unterschiedlich als Privatperson (was ich mit meinem persönlichen Einsatz mitzutragen bereit bin) und als sich öffentlich politisch Äußernder und als Parteimitglied. Als Kriegsdienstverweigerer sehe ich keinen Sinn in der Bundeswehr, der ihre enormen Kosten rechtfertigen würde. Ich halte den Aufbau von sozialer Verteidigung für wünschenswert. Doch gegenwärtig ist eine politische Durchsetzung dieser Strategie noch völlig utopisch. Sie öffentlich zu fordern, würde mich nur zum politischen Spinner stempeln. Außerdem fehlte mir ein zureichend große Gruppe als politischer Rückhalt. Als die Linie, die ich meine Partei, die SPD, gerne vertreten sähe, würde ich folgendes beschreiben: Beibehaltung der Bundeswehr (bei weiteren Sparversuchen bei Personal und Material), Festhalten an der NATO. Blauhelmeinsätze für die UNO in sehr eng begrenztem Rahmen. Mitwirkung an Kampfeinsätzen der UNO erst, wenn diese ein weitgehendes Gewaltmonopol  erhalten hat. Entscheidung über die Teilnahme an Kampfeinsätzen "out of area" durch Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Die Salamitaktik der Bundesregierung, um sich in Kampfeinsätze hineinzustehlen, empfinde ich als unwürdig. Zur Anrufung des BVG in Sachen Awacs hat mir Helmut Schmidts Ausdruck "Affentheater" recht gut gefallen. (16.4.93)

Gorbatschow
Gorbatschow ist in vieler Hinsicht der erfolgreichste Politiker des 20. Jhs bei der Durchsetzung der Menschenrechte gewesen, erfolgreicher als Gandhi. Wie dieser hat er allerdings nicht verhindern können, daß es im Zuge der Befreiung seines Landes zum Auseinanderbrechen des Landes kam.
Gestern, am 26.12., hat er seine letzte Ansprache gehalten. Er ist zurückgetreten, nachdem der Staat, dessen Oberhaupt er war, nicht mehr existierte, nachdem die Partei, deren oberster Sekretär er war, schon längere Zeit - freilich gegen seinen Willen - von ihm aufgelöst worden war. Mit diesem Rücktritt ist ihm gelungen, was nach dem 21.8. eine Zeit lang infrage gestellt schien, einen Abgang ohne Gewalt und ohne Zusammenarbeit mit seinen ärgsten politischen Feinden zu erreichen. Ein Abgang, wenn nicht mit Würde, so doch ohne Würdelosigkeit. 
Die Folgewirkungen dessen, was Hitler und Stalin an Unheil über die Welt gebracht haben, hat er in einem Ausmaß beseitigt, wie man es zuvor wohl nicht für möglich gehalten hätte. Er hat vorgeführt, daß das Blocksystem von einer Seite her aufzulösen war, ohne daß das den Gegner zur Übernahme des anderen Blocks bringen würde. (Ob das von der westlichen Seite her auch hätte funktionieren können, wird, da das Experiment nicht gelaufen ist, vermutlich historisch umstritten bleiben.) […]
Fazit: ein großer Mann, der mir umso größer erscheint, je mehr von den Schwierigkeiten, die auf ihn zukamen, [er] vorausgesehen haben sollte, gerade deswegen, weil seine Größe in seinem Mut bestand, das Mögliche, aber Unmöglich-erscheinende zu wagen. Je geringer sein Mut gewesen sein sollte, umso stärker muß die Reformkraft in der Sowjetunion gewesen sein. (1991)

WERTORIENTIERUNG IN UMBRUCHZEIT

Der weltweite Zusammenbruch des wirtschaftlichen und politischen Systems der sozialistischen Staaten hat bei vielen die Vorstellung ausgelöst, damit habe sich das wirtschaftliche und politische System des Westens als das beste erwiesen. Zwar ist uns aus der täglichen Politik nur zu geläufig, daß dieses westliche System auch nicht vorbildlich funktioniert. Aber diese Erkenntnis läßt sich leicht mit dem Argument relativieren, das Churchill für die Demokratie gebraucht hat: Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen außer denen, die man bisher ausprobiert hat.
Entsprechend ist dann auch unser westliches System nur scheinbar zu kritisieren, in Wirklichkeit aber das beste, das es je gegeben hat. Soweit scheint das alles stimmig. Aber leider ist doch ein Haken dabei. Man hat dem Experiment mit dem "Sozialismus" nämlich zu ungenau zugeschaut.
Das Scheitern des "Sozialismus", wie er sich als "realexistierender" entwickelt hatte, bedeutet nämlich zunächst nichts weiter, als daß zwei altbekannte Grundannahmen bestätigt worden sind:
1. Daß Wirtschaften der Umgang mit ·knappen· Gütern sei und deshalb jede Verschwendung sich früher oder später als unökonomisch und daher als nicht konkurrenzfähig erweisen werde.
2. Daß politische Macht kontrolliert werden müsse. Der realexistierende Sozialismus mit seiner Zentralverwaltungswirtschaft und dem Einparteienstaat hat diese Grundannahmen in
der Tat in einer Weise verleugnet, daß man sich im Nachhinein verblüfft fragt, wieso tatsächlich selbst im Westen, wo freies Denken erlaubt war, Menschen geglaubt haben, das Experiment könne gutgehen.
Freilich, auch die gegensätzlichen wirtschaftlichen und politischen Systeme des Westens berücksichtigen diese Grundannahmen ( früher hätte man wohl gesagt: Wahrheiten ) nicht genügend.
Daß Energie, Rohstoffe und Arbeit knapp sind, wird von uns in einer Weise vernachlässigt, die nahezu an die realexistierende sozialistische Ignoranz heranreicht. Die ökonomische Unvernunft des Agrarsystems der Europäischen Gemeinschaft ist mittlerweile beinahe sprichwörtlich geworden.
Nicht berücksichtigt wird bei der Kritik daran zumeist, daß die Subventionierung des Agrarsektors in allen westlichen Volkswirtschaften verbreitet ist (in der oft als Vorbild gesehenen japanischen Wirtschaft sogar besonders extrem). Daß der gegenwärtig explosionsmotorgesteuerte Individualverkehr eine groteske Verschleuderung von Energie und außerdem noch eine gefährliche Schädigung der Ökologie bedeutet, wird von immer weiteren Kreisen erkannt und im Prinzip selbst von der Kraftfahrzeugindustrie kaum noch bestritten. Hätte das westliche System einem nicht ganz so ineffizienten wie dem realexistierenden Sozialismus gegenübergestanden, hätten gewiß Agrar- und Verkehrssystem genügt, es konkurrenzunfähig zu machen. Nur - es gab keine Konkurrenz.
Doch die Uhr läuft, und in der Freude über das Straucheln des Konkurrenten drohen wir die Zeit zu verpassen.
Die Einsicht in die Notwendigkeit der Kontrolle politischer Macht hat in den realsozialistischen "Volksdemokratien" dazu geführt, daß die Volksmacht durch das Stasisystem kontrolliert wurde. Eine konsequente Perversion des Gedankens "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Beängstigend, zu sehen, wie gut sie funktioniert hat.
Doch läuft bei uns die Entwicklung konsequent in die Gegenrichtung? Das Prinzip der Kontrolle durch "checks and balances" ist in den westlichen Systemen doch ebenfalls in beängstigendem Maße gefährdet. Daß die Parlamentsmehrheiten die Regierung nicht mehr
kontrollieren, ist uns schon lange zur Gewohnheit geworden. Daß die Opposition auch kaum noch kontrolliert, sondern weitgehend durch vielerlei Rücksichten eingebunden ist, hat in dem Wort Parteienherrschafr sinnfälligen Ausdruck gefunden. Doch auch die Medien sind entweder direkt durch Parteienkontrolle oder indirekt durch ihre Verschwisterung mit der Macht nur noch beschränkt zur Kontrolle imstande. Dennoch wurde die Chance, im Zuge der Einigung Deutschlands Bewegung in die verfestigte Medienlandschaft zu bringen, nicht genutzt. Der Fall Mühlfenzel ist nur ein besonders trauriger Beleg dafür. Doch hat Mühlfenzel noch den Vorwand, es gelte, totalitäre Institutionen zu demokratisieren, wenn er interne Kritiker seines Konzepts einfach entläßt. Doch auch die neu geschaffenen Publikationsorgane der DDR-Opposition stehen kurz vor dem Ruin, und nur wenige "Spinner" versuchen sie zu unterstützen. Dabei käme es bei der datentechnischen Erfassung unserer Gesellschaft umso mehr darauf an, jede mögliche Vielfalt zu bewahren, als die Zentrale immer mehr Einblick und damit Steuerungsmöglichkeiten gewinnt. Wenn in der Tat die Mißachtung der Gebote der Wirtschaftlichkeit und die Beseitigung der gesellschaftlichen Kontrolle des Staates zum Zusammenbruch des sozialistischen Systems geführt haben, so
bedeutet das äußerste Alarmstufe für uns; denn Wirtschaftlichkeit und Machtkontrolle werden bei uns weithin vernachlässigt.
Eine groteske Verachlässigung der Wirtschaftlichkeit stellt die Förderung des privaten Automobilverkehrs dar. Die kostenlos zur Verfügung gestellten Verkehrswege und die weit unter Preis angebotenen Parkflächen (man vergleiche Ladenmieten und Parkgebühren in der Innenstadt von Großstädten) bedeuten eine Subventionierung von Umweltverschmutzung (Ozonsmog, Waldsterben, Treibhauseffekt) und fahrlässiger Körperverletzung und Tötung, deren volkswirtschaftliche (bzw. beim Treibhauseffekt weltwirtschaftliche) Kosten (z.B. Krankenhauskosten, Renten, Produktionsausfall) das Defizit der Bundesbahn um ein Mehrfaches übersteigen.
Zu Wirtschaftlichkeit führt der Markt nur, wenn sich die Knappheit der Güter auch in den Preisen niederschlägt. Das ist aber bei Erdöl, bei vielen Rohstoffen und zum Beispiel bei Wasser- und Energiekosten nicht der Fall. Bei Erdöl und Rohstoffen werden nur die Förder- und Verteilkosten plus eine schöne Profitspanne für die Oligopolisten bezahlt. Die weltwirtschaftliche Knappheit in zehn, zwanzig Jahren kommt bei der Preisbildung noch nicht zur Geltung. Wasser- und Energiekosten werden subventioniert. Die Umweltschädigungen durch die Verbraucher gehen nur zu einem geringen Teil in den Preis ein. Die Kosten wird die Allgemeinheit in einigen Jahren zahlen. Dann sind die Profite bereits privatisiert. Es ist hohe Zeit für eine Gegenstrategie. Wie soll die aussehen?
Das marktwirtschaftliche Prinzip und das Prinzip der Gewinnmaximierung haben sich als bessere Steuerungsinstrumente erwiesen als der zentrale Plan. Sie sind beizubehalten. Nur darf man nicht glauben, sie wären auch geeignet, den Kurs zu bestimmen. Das wäre so, als wollte man auf dem Schiff das Steuer aus der Hand geben und sich darauf verlassen, daß das Steuer den richtigen Kurs schon anzugeben wisse.
Der einzelne Betrieb soll nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung handeln. Die Gesellschaft muß sich Versorgung der Bevölkerung bei möglichst niedrigem Unfallrisiko und möglichst niedriger Belastung der Umwelt zum Ziele setzen.
Wenn diese Vorgaben gemacht werden, wird das marktwirtschaftliche Prinzip richtig steuern. Daß unsere Industrie anpassungsfähig ist, hat sie schon hundertmal bewiesen. Phosphatfreie Waschmittel und Katalysatorautos sind nur umweltfreundliche Beispiele für etwas, was ständig geschieht: Produktentwicklung, um gegenüber dem Konkurrenten bestehen zu können. Jetzt heißt es nur dafür zu sorgen, daß das umweltfreundlichere Produkt auch das gewinnträchtigere ist. Dafür sorgen können Verbraucher und Staat. Sie müssen es nur wollen.
Natürlich ist es für den Unternehmer bequemer, sich nicht umzustellen. Aber das ist die Bequemlichkeit, die sich nur der Monopolist leisten kann. Marktwirtschaftlich ist sie nicht gewollt.
Marktwirtschaft kann mehr, als ihr gegenwärtig abverlangt wird. Es wird hohe Zeit, daß wir es ihr abverlangen. Sonst könnte es zu spät sein. (3.12.1990)

Ich hoffe stark auf weitere Demokratisierung in der DDR. […] Ich hoffe sehr auf dauernde Normalisierung des Verhältnisses. Eine Wiedervereinigung wäre mir dann völlig unwichtig. Gegenwärtig fürchte ich sie, falls sie Gorbatschows Position in der SU gefährden könnte.(7.1.1990)

  Bei einem Blick auf eine Aufstellung der Ereignisse des Jahres 1989 habe ich gesehen: es ist ein Jahr des Aufbruchs gewesen nicht nur in der DDR und Osteuropa. Waffenstillstand in Angola, Demokratie in Chile, Frederik de Clerk Präsident Südafrikas, demokratisch gewählter Präsident in Brasilien mit vielen Reformen, Sturz des Diktators von Paraguay, verfassungsgebende Versammlung in Namibia, Abzug der Sowjets aus Afghanistan, der Vietnamesen aus Kambodscha. Freilich: in China Niederschlagung der Studentenproteste. (Beginn 1990)

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